Komponist


„[Es] wird für den Komponisten eine äußerst ungemütliche Situation geschaffen, die einer Bilanz gleichkommt. Eine Bilanz der gesamten musikalischen Kultur der Menschheit, als ob beim Jüngsten Gericht die Musik aller Zeiten und Völker plötzlich von den Toten auferstanden wäre.“

Viktor Suslin (Zur Aktuellen Musiksituation. Laaber, 1990)

Das Komponieren heute bedingt neben der Absorbtion der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse auch einen reflektiven Umgang mit über tausend Jahren europäischer Musikgeschichte. Entweder geschieht dies durch deren bewusste Ablehnung („Komponieren ohne Tradition“) oder durch deren Rezeption und Neuinterpretation. Nichtsdestotrotz ist Musik immer an die Zeit ihrer Entstehung gebunden, momentan also unweigerlich ein Produkt des frühen 21. Jahrhunderts.
Auch meine Arbeit als Komponist macht davon keine Ausnahme. So findet sich rezeptiver Umgang mit alter Musik im Trio Entlaubter Wald, das auf Melodien spätmittelalterlicher Lieder fußt genauso wie im Orchesterlied-Zyklus Fingerspitzen, das einerseits Zitate von Robert Schumann und Friedrich Wieck verarbeitet, andererseits der Idee einer Passacaglia neue Aspekte abzugewinnen versucht. Die Hommage à Pink Floyd am Ende meines Quintetts Lichtflecken ist wiederum ein Fingerzeig auf einen der vielen Höhepunkte künstlerischer Entwicklung in der „U-Musik“, deren weites Feld auch beim klassischen Komponieren nicht mehr ignoriert werden kann.
Die Kammeroper Lorenzer Platz ist wiederum klar ein Kind des 21. Jahrhunderts. Benannt nach einem der zentralen Plätze in der Nürnberger Altstadt nimmt sie Ideen und Klänge der Popkultur der letzten Jahre auf, imitiert oder kritisiert sie und packt sie in mehrere Episoden einer großstädtischen Partymeile. Die Stadt-Thematik überhaupt, die sich heute unter anderem im „Urban Style“ der Jugendkultur äußert, war vor gut hundert Jahren schon einmal Gegenstand künstlerischer Beschäftigung. Die Wahl expressionistischer Gedichte für kleinere Lieder (z.B. Die neuen Häuser) zeigt die ungebrochene Aktualität frühmoderner Stadtgedichte in Zeiten wachsender sozialer Spannungen in den Großstädten.
Das „L'art pour l'art“-Prinzip erscheint im Anblick der Geschichte politischer und politisch missbrauchter Musik hingegen heutzutage vielleicht etwas naiv, kann aber auch jetzt noch spannende und aktuelle Projekte hervorbringen, wie etwa die Symbiose aus Radierung, Lyrik und Musik im Zyklus Fenster ins Nadelgebiet.

Hörbeispiele

Fragmente op. 3

August 2015
Lorenz Trottmann, Klavier

Lichtflecken op. 5

August 2014
Gregor Schulenburg, Flöte

Boglárka Pecze, Klarinette

Paul Hübner, Trompete

Sabrina Ma, Schlagzeug

Philipp Heiß, Klavier

Entlaubter Wald op. 6

Juli 2016 (live)
Andreas Engelhart, Klarinette
Giorgi Paresi, Violine
Christoph Orendi, Klavier

Notenbeispiele

Totentanz op. 7

Sechs Bilder zur Alchimie op. 9


Posaunenquartett op. 12

Rosa oder Die versprochene Welt op. 15